04.03.2020

Rede der Freien Wähler zum Haushalt 2020:

„Wem das Wasser bis zum Hals steht, sollte den Kopf nicht hängen lassen.“

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, meine Damen und Herren,

nicht nur um mir Arbeit zu ersparen, habe ich überlegt, meine letztjährige Haushaltsrede heute nochmals vorzutragen. Sie werden sich fragen, warum? Weil Punkt für Punkt der im letzten Jahr angesprochenen Themen immer noch aktuell und allesamt nicht erledigt sind: Neugestaltung des Schulzentrums Lindach, Wohnen und Handel in der Ziegelei, Bau einer neuen Stadthalle, ein neuer Freibad-Eingang, Verbesserung des Hochwasserschutzes oder die Sanierung unserer Turn- und Festhallen, um nur einige Beispiele zu nennen. 

Themen, die wir seit etlichen Jahren auf der Agenda haben, und die – so unsere Hoffnung – im vergangenen Jahr entscheidend vorangebracht werden sollten. Dass mit dem ersten Vertragsabschluss in der Ziegelei kürzlich ein erster Schritt getan wurde, ändert nichts an der Tatsache, dass sich diese Vorhaben viel zu lange hinschleppen. Ein herausragendes Negativbeispiel dafür: Die Bebauung des Bijouteriegeländes. Seit bald zehn Jahren liegt das Gelände im Herzen von Dürrmenz brach und steht zur Bebauung bereit. Waren es zunächst die falschen Investoren auf die man setzte, sind es jetzt überlange Planungs- und Gestaltungsprozesse. Es ist geradezu peinlich, seit Jahren die Verzögerungen gegenüber meinen Dürrmenzer Mitbürgern verteidigen, erläutern und sich dafür entschuldigen zu müssen.

Es wäre aber zu einfach, die Schuld allein bei den Verantwortlichen der Stadtverwaltung zu suchen. Es wird immer mehr deutlich, dass die Vorhaben nicht alle gleichzeitig abgearbeitet werden können. Dazu kommt, dass unserer Verwaltung immer wieder neue Themen aufgehalst werden. Auch von einzelnen Fraktionen des Gemeinderats. Manche in diesem Gremium meinen, auf jeden vorbeifahrenden Zug aufspringen zu müssen – oder schwäbisch ausgedrückt - jede Woche eine neue Sau durchs Dorf treiben zu müssen:  Kreiselwettbewerb, Zuschüsse für den Kauf von Althäusern, Förderung von Radwegen, der E-Mobilität und vielem mehr. Dass dabei auch der Personalhaushalt stetig steigt, inzwischen sind es bald 21 Mio Euro, hängt auch damit zusammen, weil man sich blauäugig an den goldenen Zügel des Landes nehmen lässt.

Die Spielräume des Haushaltes für Investitionen werden enger, deshalb war es für uns unbegreiflich, wie man überhaupt an den Erwerb der Senderanlagen ernsthaft denken konnte. Seit Monaten muss sich unsere Verwaltungsspitze mit dem Thema beschäftigen, obwohl von Anfang klar war, dass die Kosten für den Erwerb und für die kurz- und mittelfristigen Sanierungs- und Sicherheitsmaßnahmen weder für die Stadt, noch für einen Verein oder eine Stiftung zu schultern sind. Schade, für die investierte Zeit! 

Wir haben manchmal den Eindruck, dass man ob der Fülle der Aufgaben - quasi als Placebo Effekt – Planungsaufträge oder Machbarkeitsstudien vergibt, um den Bürgern vorzugaukeln, dass etwas geschieht. Insgesamt kommen in diesem HH-Jahr in der Summe 1,8 Mio Euro zusammen. Ein stolzer Betrag, für den es aber kein einziges Klassenzimmer mehr gibt oder auch nur ein Meter unserer maroden Straßen saniert wird. „Kleine Taten, die man ausführt, sind besser als große, die man plant“, sagte George C. Marshall, US-amerikanischer General und Staatsmann, Begründer des Marshall-Plans, dem Wiederaufbauprogramm der Amerikaner nach dem Krieg.

Wir drängen darauf, dass in den nächsten Wochen und Monaten zielstrebig an der Neugestaltung des Lindach-Schulzentrums gearbeitet wird. Auch in anderen Schulen und Kindergärten stehen Renovierungsarbeiten an. Neue Fenster, Toilettenanlagen oder Farbanstriche sind erforderlich, sei es in der Wendlerschule oder in der Dürrmenzer Schule. Schon im letzten Jahr habe ich angeregt, dass wir für unsere Schulen mit hohem Anteil von auswärtigen Schülern versuchen sollten, die Nachbargemeinden bei der Finanzierung mit ins Boot zu holen. Mit rund fünf Millionen Euro belastet dieser wichtige Bereich Jahr für Jahr unser Stadtsäckel. Acht Grundschulen, je eine Gemeinschafts- und eine Realschule, eine Förderschule und ein Gymnasium mit zusammen 2 900 Schülerinnen und Schülern wollen unterhalten sein. Bei den weiterführenden Schulen beträgt der Auswärtigenanteil rund ein Drittel. Schuldenfreie Nachbargemeinden wären vielleicht froh, sie könnten ihre Ersparnisse bei uns sinnvoll in die Ausbildung ihrer Kinder anlegen, statt dies bei einer EnBW – Tochter für eine armselige Rendite zu tun!  Wir erwarten, dass die Verwaltung endlich in Gespräche mit den Nachbargemeinden tritt.

Auch beim Unterhalt unserer Straßen stehen wir in der Pflicht: Vorgesehen sind im HH für verschiedene Maßnahmen 1,6 Mio Euro und der barrierefreie Ausbau einiger Bushaltestellen.  Die Lindachstr., die Schillerstr., die Herm.Hesse-Str., die Lienzinger Straße oder die Enzberger Höhenstraße, um nur einige Beispiele maroder Straßen herauszugreifen, sie können auch dieses Jahr noch nicht ausgebaut werden. Für die Anlieger und Nutzer der Straßen ein großes Ärgernis. Jedenfalls sollten wir in der Lienzinger- und in der Höhenstraße im Laufe dieses Jahres soweit kommen, dass 2021 mit der grundlegenden Sanierung zumindest in Teilabschnitten begonnen werden kann. Wir treten dabei für einen maßvollen und finanzierbaren Ausbau ein!

Es ärgert uns gewaltig, dass 14 Monate nach Beendigung des Mühlehof-Abrisses, das Loch immer er noch als unfertige Baustelle in der Stadtmitte daliegt, zwischenzeitlich abgedeckt mit weißer Plastikfolie. Da der Neubau einer Stadthalle aus finanziellen Gründen auf sich warten lässt, muss nach Zwischenlösungen gesucht werden. So jedenfalls kann das Loch nicht auf Jahre hinaus bleiben! Die Kreativität ist gefordert, und erste Vorschläge aus der Bürgerschaft sind auch schon eingegangen. In Dürrmenz klafft ebenfalls seit Monaten ein Loch neben der Herrenwaagbrücke, angeblich – so die Verwaltung - weil die Ergebnisse der Bodenproben solange auf sich warten lassen!

Es rumort in unseren Kindergärten. Anfang Dezember hat unsere Fraktion in einem Antrag darauf hingewiesen, dass wohl einiges im Verhältnis zwischen Verwaltung und Kindergartenpersonal nicht stimmt. Anlass dafür waren die

Kündigungen in Mühlhausen, dramatisch ist die Situation jetzt durch die Kündigungen der Erzieherinnen im Emrich-Kindergarten geworden. Wir erwarten eine Aufarbeitung der Problematik und wollen umfassend informiert werden. Eltern haben zurecht die Sorge, dass die Betreuung ihrer Kinder nicht mehr umfänglich und zufriedenstellend gewährleistet wird.

Sehr geehrter Herr OB, wir hoffen und würden uns wünschen, dass wir in diesem Jahr die zwei großen Themen „Ziegelei“ und „Lindach“ entscheidend voranbringen. Das erstere, weil es eine Riesenchance für die Entwicklung unserer Stadt ist, das zweite, weil die beteiligten Schulen seit Jahren auf die notwendigen Renovierungen und Ergänzungsbauten warten. Dass hierbei die großen und wünschenswerten Lösungen aus finanziellen Gründen nicht zu verwirklichen sind, sollte uns nicht davon abhalten, die notwendigen Zuschussanträge zu stellen und mit der schrittweisen Umgestaltung und Erneuerung zu beginnen.  

Wir leben in einer Zeit des Umbruchs und einer ungewissen Zukunft:

Der Klimawandel hat uns mit aller Macht getroffen. Die heißen Sommer gefährden unsere Wälder, der Umstieg vom Verbrenner zur E-Mobilität vernichtet Arbeitsplätze, auch in Mühlacker. Die Digitalisierung mit all ihren Folgen verunsichert die Menschen. Weltweit gerät die Wirtschaft durch Handelskriege und - seit Neuestem - durch die drohende Corona-Virus-Pandemie ins Trudeln.

Finanzielle Auswirkungen auf unsere Stadt sind zu befürchten. Wir sind nicht erst mit der Einführung des neuen Haushaltsrechts in finanzielle Schieflage geraten. Der notwendige Ausgleich gelingt nur über eine Entnahme aus der Rücklage von rund 5 Mio Euro und einer weiteren Verschuldung von etwas mehr als einer Million.  „Dramatisch“ nannte der OB die Situation bei der Einbringung und erklärte, dass wir über unsere Verhältnisse leben würden. Dem wollen und können wir nicht widersprechen und halten uns dabei an das alte Sprichwort: Wem das Wasser bis zum Hals steht, sollte den Kopf nicht hängen lassen.“
 

Die Aufgabenfülle ist auch 2020 wieder enorm, deshalb an dieser Stelle unser ausdrücklicher Dank an die Verantwortlichen in der Verwaltung, den Regiebetrieben und den Stadtwerken mit allen ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Wir wissen gerade in schwierigen Zeiten zu schätzen, dass viele von Ihnen Überdurchschnittliches leisten!

Wir Freien Wähler stimmen dem HH 2020 zu.

Rolf Leo

Fraktionsvorsitzender

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